Wiener Neustadt - Luftpark

 

Nach der Besetzung und Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich bereiste Hermann Göring als "Oberbefehlshaber der Luftwaffe" und "Reichsbevollmächtigter für den Vierjahresplan" das südliche Niederösterreich (damals Niederdonau). Im Zuge dieser Besichtigungstour erklärte er am 18. März 1938 in Wr. Neustadt, dass diese Stadt als "Luftrüstungszentrum und Luftwaffendrehscheibe Süd/Ost" unverzüglich auszubauen ist. Schwerpunkte sollten dabei die von den Österreichischen Fliegerkräften übernommenen und auszubauenden Fliegerhorste Wr. Neustadt West, Aspern und Bad Vöslau (Kottingbrunn) sowie die neu zu errichtenden Horste im Wiener Raum, wie Seyring, Langenlebarn, Schwechat-Heidfeld, Parndorf, Götzendorf, Zwölfaxing, Münchendorf, Trausdorf und einige Ausweich- und Arbeitsplätze sein. Das eigentliche Zentrum sollten die Wiener Neustädter Flugzeugwerke Ges.m.b.H. mit dem Werksflugplatz Wr. Neustadt Ost (Theresienfeld) und ein Luftpark für den Luftgau XVII bilden. Als idealer Standort für den Luftpark bot sich das Gelände der seit 1918 stillgelegten "Wöllersdorfer-Werke" an. Die Objekte der größten Munitions- und Sprengmittelfabrik der ehemaligen K.u.k. Donaumonarchie während des I. Weltkrieges waren 1938 fast zur Gänze noch vorhanden und befanden sich, wie die gesamte Infrastruktur des riesigen Geländes, in gut erhaltenen Zustand.

 

 

Kurze Geschichte der "Wöllersdorfer-Werke"

 

Schon 1815 begann man auf der Heide zwischen Wr. Neustadt und Wöllersdorf mit der Errichtung von Laboratorien und Einrichtungen für die Pulvererzeugung. Hergestellt wurden auch primitive Raketen nach dem Muster von Feuerwerkskörpern, welche gebündelt von Werfern verschossen wurden. Die Fabrikationsstätte wurde als "Raketendörfl" bezeichnet und zur militärischen Anwendung der neuen "Raketenartillerie" das "K.u.k. Feuerwerkskorps" aufgestellt. Daraus entstand die Ortsbezeichnung Feuerwerksanstalt als Ortsteil der Gemeinde Wöllersdorf. Wegen der großen Streuung und unterschiedlichen Reichweiten der Raketengeschosse konnten sie sich gegenüber der Treffsicherheit der Rohrartillerie nicht durchsetzen und so wurden zwischen 1860 und 1870 die Raketenbatterien in konventionelle Geschützbatterien umgewandelt. Ab 1868 begann der stetige Ausbau zur Erzeugung von Artillerie- und Gewehrmunition. Die Bezeichnung lautete "K.u.k. Artillerie-Haupt-Laboratorium" und ab 1895 "K.u.k.Munitionsfabrik Wöllersdorf".

 

© 2001 Schmitzberger

Foto: Ruinen eines Munitionswerkes in der Umgebung von Wr. Neustadt

 

Den Höhepunkt an Expansion erreichte das Werk im I. Weltkrieg. Wöllersdorf-Feuerwerksanstalt war 1914 - 1918 der Mittelpunkt der gigantischen Rüstungsanlagen in und um Wr. Neustadt mit weiteren Werken in Berndorf, Hirtenberg, Enzesfeld, Blumau, Theresienfeld usw. . Allein das Wöllersdorfer-Werk beschäftigte damals bis zu 40.000 Rüstungsarbeiter, das Werksgelände erstreckte sich über fast 3 km² auf welchem 635 Bauobjekte vorhanden waren. Etwa 40 km Normalspurgleise, über 70 km Schmalspurbahnen und 26,5 km Betonstraßen erschlossen die Anlagen.

 

Nach der Demobilisierung ab Ende 1918 unter Aufsicht des Alliierten Rates verwaltete der Staat das Areal. Die Baulichkeiten wurden mit der Hoffnung auf Nachnutzung und Besiedelung durch neue Industriebetriebe gewartet und gepflegt. Bis auf die Ansiedelung einiger kleinerer Firmen zerschlugen sich mehrere Großprojekte wegen korrupten, spekulativen Machenschaften der Beteiligten und der einsetzenden Weltwirtschaftskrise.

 

Nach Auflösung des Parlaments im März 1933 durch Kanzler Dollfuß und Installierung des totalitären Ständestaates richtete die Regierung ab Oktober 1933 in einigen Hallen des Werkes ein "Anhaltelager" für Regimekritiker und Exponenten der verbotenen Parteien (NSDAP und KP ab 1933 und Sozialdemokratische Partei ab 1934) ein. Dieses Lager bestand bis zum Anschluss ans Deutsche Reich im März 1938, der höchste Stand an Inhaftierten betrug knapp über 5.000 Personen (Oktober 1934).

 

Nach Beschluss der höchsten Luftwaffenstellen wurde im Sommer 1938 mit der Adaptierung der Anlagen zum Luftpark XVII Wr. Neustadt - Wöllersdorf begonnen.

 

 

Aufgaben des Luftparks

 

  • Bereithaltung (Annahme, Lagerung und Versendung bzw. Ausfolgung) von Rüstungsgütern für die Luftwaffe.
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  • Wartung, Prüfung, Instandhaltung bzw. Instandsetzung, Um- und Nachrüstung von Flugzeugen sowie Bergung von Schadmaschinen bis in Frontnähe.
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  • Ermittlung, Herstellung, Aufrechterhaltung und Prüfung von Qualitätsstandards für Rüstungsgüter und Geräte der Luftwaffe.
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    Lage und Aufbau

     

    Das Kerngebiet bildete das Werksgelände der ehemaligen "Wöllersdorfer-Werke" im Gemeindegebiet von Wöllersdorf und Flächen der Stadt Wr. Neustadt. Die Grenzen waren im Westen die Straße von Wöllersdorf nach Fischau Brunn (heute Autobahnzubringer zur A2 - Abfahrt Wöllersdorf), im Süden die "Fischauer Straße" von Wr. Neustadt nach Fischau und im Norden die Felder Richtung Steinabrückl und ein Weg nach Theresienfeld. Im Osten stieß der Luftpark direkt an das Gelände des Fliegerhorstes Wr. Neustadt-West, wo im Übergangsbereich Flugfeld - Luftpark einige Werfthangars situiert waren.

     

    Binnen kürzester Zeit wurde eine direkt dem Luftgaukommando unterstellte Organisation mit 30 Abteilungen aufgebaut und die vorhandenen Bauten den Erfordernissen der logistischen Abwicklung der vorhin beschriebenen Aufgaben angepasst. So wurden Lager für folgende Materialen und Geräte eingerichtet: Ersatz-, Bestand-, Verschleiß- und Zurüstteile für sämtliche im Luftwaffenbestand befindlichen Flugzeuge ebenso Flugzeugtauschmotoren, Zellen, Kabinen, Hydraulik-, Fahrwerks- und Leitwerkteile, Tragflächen, Bordinstrumente, Funkausrüstungen, optische Geräte, Tanks, Abwurfbehälter, Bordwaffen, div. Bordausrüstungsteile. Auch die Ausrüstung und Ausstattung für das Luftwaffenpersonal von der Uniform bis zu den Handfeuerwaffen, Fallschirme, Notfallausrüstungen, Sanitätsmaterial, Kartenmaterial bis zur Verpflegungsreserve waren hier gelagert. Ebenso wurden Brenn- und Treibstoffe, Öle usw. gelagert.

     

    Für die Reparatur-, Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten wurden die verschiedensten Werkstätten und Werften eingerichtet und eng mit dem Technischen Stab des Fliegerhorstes Wr. Neustadt-West zusammengearbeitet. Ein mobiles Bergekommando mit eigenen Transportflugzeugen sorgte für die Rückführung zur Instandsetzung oder Verwertung der noch brauchbaren Teile von im Einsatz zu Bruch gegangenen Maschinen.

     

    Zur Abwicklung dieser umfangreichen Aufgaben sorgten ca. 2.000 "Organisations- bzw. Luftparkangehörige". Das Personal bestand sowohl aus Militärangehörigen als auch aus dienstverpflichteten Zivilisten (hauptsächlich Techniker) welche alle der Luftwaffe unterstanden. Das Luftparkgelände war militärisches Sperrgebiet und ein eigener Werksschutz sorgte für die Überwachung der Beschäftigten, Zutrittskontrollen und Wachdienst bei den einzelnen Objekten. Zusätzlich war eine Sicherungskompanie im Luftpark stationiert, welche die militärische Sicherheit zu gewährleisten hatte.

     

    Als Mitte 1943 die Luftangriffe auf Wr. Neustadt immer stärker wurden, begann man mit Auslagerungen von wichtigen Ersatzteilen, Rüstungsgütern und Werkstätten in sogenannte "Tiefbaracken". Diese getarnten , bis zur Dachkante in den Boden versenkten Baracken wurden in den ausgedehnten Föhrenwäldern südlich von Wöllersdorf, bis in die Gegend von Saubersdorf, errichtet. Das Sperrgebiet des Luftparks wurde dadurch nochmals um einige km² erweitert. An der Schneebergbahn wurde eine eigene Bahnstation eingerichtet und eine Schmalspurbahn verband die Anlagen im Föhrenwald mit dem ursprünglichen Luftparkgelände und den Werften am Fliegehorst Wr. Neustadt West.

     

     

    Luftangriffe und Kriegsende

     

    Am Pfingstmontag, den 29. Mai 1944 erfolgte der schwerste Bombenangriff auf den Luftpark. 85 % der Baulichkeiten wurden dabei zerstört, gigantische Brände wüteten und die enormen materiellen Schäden an hochwertigen Rüstungsgütern konnten bis Kriegsende nicht mehr ausgeglichen werden. Wegen des Feiertages hielten sich die Personenschäden zum Glück in Grenzen. Weitere Auslagerungen in die nähere Umgebung (Piestingtal, Föhrenau) und Verlagerungen an entferntere Standorte wie Oberpullendorf und Ried im Innkreis waren die Folge. Die volle Leistungsfähigkeit des Luftparks konnte nie mehr erreicht werden, doch eine gewisse Grundversorgung der Luftwaffeneinheiten wurde bis März 1945 aufrecht erhalten, wobei die immer kürzer werdenden Versorgungswege durch die ständig näherrückende Front zu Hilfe kamen.

     

    In der letzten Märzwoche 1945 rückten die Sowjettruppen aus SO immer näher an die Föhrenwälder des Steinfeldes heran. Die beim Bombenangriff nichtzerstörten Anlagen und Lagereinrichtungen wurden gesprengt und die Belegschaft des Luftparks bekam am 1. April den Räumungsbefehl. Mittels LKW's zogen sie sich durch das Piestingtal in die Voralpen zurück. Panzer der 7. Kompanie des 1. SS-Panzerregiments und ein SS-Schützenpanzerbataillon bezogen am 3. April zwischen den Ruinen des Luftparks Stellung. In der Nacht vom 5. zum 6. April 1945 zogen sich nach kurzen Gefechten und Abschuss von einigen T 34 die SS-Einheiten vor der Übermacht der Russen Richtung N zurück und am frühen Morgen besetzten die Sowjettruppen das Luftparkgelände.

     

     

    Kriegsende bis heute

     

    Das riesige Trümmerfeld hatte auch für die sowjetische Besatzungsmacht keine Bedeutung, alles noch brauchbare wurde als Baumaterial wiederverwertet, größere Baufragmente sowie etliche funktionslos gewordene Schlote wurden in den späten 40ziger Jahren gesprengt. Am westlichen Teil des Geländes wurden einige Unternehmen angesiedelt und als einziges erhalten gebliebende Gebäude wurde das ehemalige Schalthaus des Kraftwerkes renoviert und dient heute einer Betonfertigteilfirma als Bürogebäude. Ein weiterer Teil des Areals in der Nähe der heutigen Autobahnabfahrt Wöllersdorf wurde mit Siedlungshäusern verbaut und im Ostteil, Richtung Flugplatz Wr. Neustadt West, befinden sich die modernen, streng bewachten und gesicherten Kasernen- und Trainingsanlagen des Gendarmerieeinsatzkommandos GEK "Cobra". Das übrige, dazwischenliegende Gelände ist von Gestrüpp bewachsenes Ödland bzw. wird an einigen Stellen Schotter abgebaut.

     

     

    Februar 2001, Josef.B.

     

     

     

    ACHTUNG!

     

    Die Gebiete um Wiener Neustadt sind noch heute hochgradig munitionsverseucht! Ein Besuch der dortigen Anlagen ist mit absoluter Lebensgefahr verbunden!

     

    © 2001 Schmitzberger

    Foto: Bei Wr. Neustadt gefundene 7,5 cm Granate. Sie wurde dem Entminungsdienst gemeldet und sofort geräumt.

     

     

     

     

    Verwendete- u. weiterführende Literatur:

     

    MAGIE DER INDUSTRIE - Katalog der N.Ö. Landesausstellung 1989 in Pottenstein, Amt der N.Ö. Landesregierung - Kulturabteilung, ISBN 3-85460-000-3

     

    MARWAN-SCHLOSSER Rudolf, Luftfahrt und Luftsport in Wiener Neustadt, Herausgeber Contacta GmbH, Wr. Neustadt 1981

     

    MULLEY Klaus Dieter, LEOPOLD Hans, Geschosse - Skandale - Stacheldraht, Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie in Wöllersdorf, Enzesfeld und Hirtenberg, Eigenverlag der Gewerkschaft der Eisenbahner, Ortsgruppe Ebenfurth 1999, ISBN 3-9500563-1-6

     

     

     

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